Der Islam - ökumenischer Dschihad oder christlicher Kreuzzug?

Der zweite Punkt, der für eine tiefe Kluft innerhalb des erzkonservativen katholischen Milieus sorgt, ist die Frage, wie der gegenwärtige Islam einzuschätzen sei.

Dass innerhalb des Herrenabend-Netzwerks große Einigkeit hinsichtlich der Ablehnung der interreligiösen Bemühungen Papst Johannes Pauls II. herrschte, wurde bereits erwähnt. Mit dem interreligiösen Friedenstreffen in Assisi sei der Papst selbst vom wahren Glauben abgefallen und habe den Feinden die Schlüssel der heiligen Stadt ausgeliefert. Zwar könne man Johannes Paul die lauteren Motive seines Handelns nicht abstreiten, man dürfe aber auch nicht übersehen, wie gefährlich dieses falsche Signal an die Öffentlichkeit, zumal an die islamische Welt sei: ein Signal der Relativierung der singulären Bedeutung des Christentums bzw. der Erlösung durch Christus. Bestärkt sahen sich die konservativen Theologen in ihren Bedenken durch Äußerungen des damaligen Kardinals Ratzinger, die in traditionalistischen Zirkeln die Runde machten. Auch der oberste Glaubenshüter sehe die Assisi-Aktion des Papstes kritisch und sei nur auf dessen ausdrücklichen Befehl hin zu dem Treffen der Religionen gefahren. Ein Professor erzählte in diesem Zusammenhang bei einem Abendessen in Lublin die Anekdote, Ratzinger habe sich im Zug von Rom nach Assisi demonstrativ mit dem Rücken zur Fahrtrichtung gesetzt, um sein Missfallen zum Ausdruck zu bringen.

Im Hinblick auf den Islam war man sich bei den Herrenabenden einig, dass er neben dem Katholizismus als die zweite religiöse Macht in Europa zu gelten habe. Die weiteren Einschätzungen schwankten dann jedoch zwischen unbedingtem Kampfeswillen gegen den Islam auf der einen und Faszination für den kämpferischen Islam auf der anderen Seite. Beide Positionen, so gegensätzlich sie sonst sind, verbindet eine ausgeprägte Aversion gegen den Liberalismus und die Öffnung der Kirche zur modernen Gesellschaft.

Einer der Besucher der Herrenabende, der heutige Pro-NRW-Politiker Dr. Christoph Heger, schrieb mich kurz nach unseren ersten Düsseldorfer Begegnungen an. In Deutschland werde die islamische Apologetik immer lauter und damit auch die Kritik am Christentum, besonders werde diesem durch islamische Polemiken der Monotheismus streitig gemacht. Er plane nun eine große Gegenoffensive, die dem Islam beweisen solle, dass er keineswegs ein Monotheismus sei, sondern ein verkappter Viel-Gott-Glaube. Wer den Islam ein wenig kennt, weiß, dass es keine größere antimuslimische Provokation gibt, als ihm Polytheismus vorzuwerfen. Aus dem gemeinsamen Projekt mit mir wurde nichts. Heute führt Heger einen politischen, extrem rechten Kampf gegen die »muslimische Unterwanderung« der deutschen Gesellschaft.

Einer ebenfalls auf einem ultrakonservativen Katholizismus und Antiliberalismus beruhenden islamkritischen Position begegnete ich später in den Büchern und einem Artikel des Publizisten Hans-Peter Raddatz, den er für die von mir zu der Zeit herausgegebene Zeitschrift Theologisches verfasst hatte. Dort ging er streng mit dem von liberalen katholischen Kreisen angestrebten Dialog mit dem Islam ins Gericht. Der Islamwissenschaftler Martin Riexinger bemerkte in seinem Aufsatz »Hans-Peter Raddatz: Islamkritiker und Geistesverwandter des Islamismus« dazu: »Die Angriffe von Raddatz auf den Islam sind Teil eines Antiliberalismus, der jenem der Islamisten durchaus ähnelt.«

Als ich im Jahr 2005 ein islamfreundliches Buch in derselben Zeitschrift weithin zustimmend besprechen ließ, kündigte mir die Gattin von Herrn Raddatz in dessen Namen die Zusammenarbeit mit der von mir edierten Monatsschrift auf und schrieb erboste Briefe an alle möglichen Mitstreiter aus dem konservativen Lager über mich und meine Unfähigkeit als Herausgeber. Spätestens zu dem Zeitpunkt wurde mir eindringlich bewusst, dass es neben den Marienerscheinungen ein weiteres Thema gab, das das konservativ-katholische Lager in zwei Fronten teilte: die Haltung zum Islam.

Das positiv besprochene Buch stammte von dem Augsburger Publizisten Michael Widmann und richtete sich gegen ein Kopftuchverbot für islamische Mädchen und Lehrerinnen an staatlichen Schulen. Ich hatte Widmann bereits einige Jahre zuvor im Zusammenhang mit seiner Tätigkeit als Lektor für den Sankt Ulrich Verlag in Augsburg persönlich kennengelernt.

Bei unserem Gespräch im Oktober 2001 in Augsburg kam Widmann auch auf Erik Ritter von Kuehnelt-Leddihn zu sprechen, den er positiver beurteilte, als ich es ihm damals zugetraut hätte. Beim Mittagstisch zwischen bayerischem Gulasch und Andechser Klosterbier entwarf er mir damals reichlich wirr erscheinende Theorien zu den alle Welt bewegenden Terroranschlägen vom 11. September. Ich konnte sie damals noch nicht recht einordnen. Erst als später der Piusbischof und Antisemit Williamson mit ähnlichen Thesen an die Öffentlichkeit trat und ich weitere Publikationen Widmanns, [25] besonders aber sein Interview mit der Internetseite muslim-markt.de gelesen hatte, wurde mir klar, worum es hier ging: um die Genugtuung extrem konservativer Katholiken angesichts des Islamismus, der dem moralisch verfaulten Westen unübersehbar und aggressiv Widerstand leistet.

Widmanns Plädoyer für die islamische Kopfbedeckung verstand ich nun als die äußere Manifestation einer tiefen Sympathie für den kämpferischen Islam als einzig ernstzunehmender Gegenmacht gegen den Liberalismus, der für Widmann in der Internetpornographie seinen deutlichsten Ausdruck fand. Das Kopftuch stehe für die Scham der anständigen Frau und für deren Bereitschaft, die Autorität einer höheren Macht anzuerkennen. So sei das Tragen des Kopftuchs ein stiller Protest gegen die pornographische Verfasstheit der liberalen, gottlosen Staaten, die einer Autonomie und falschen Freiheit des Menschen das Wort redeten. Gegen diesen demokratischen Liberalismus, der in Wirklichkeit totalitär sei, müssten Christen und Muslime sich verbünden.

Widmann scheute sich auch nicht, den Islamismus als Vorbild für konservative Katholiken zu präsentieren und zu einem gemeinsamen »ökumenischen Djihad« aufzurufen: für eine »Schamkultur«, für Ehe und Familie, für die »Ehre der schamhaften Frau« und andere traditionelle Werte, die die fundamentalistischen Interpretationen beider Religionen verbinden. Außerdem gegen »Unzucht« (gemeint sind damit in der kirchlichen Sprache Homosexualität und vorehelicher Geschlechtsverkehr), Verhütung, Abtreibung sowie Ehebruch. [26]

Ausgerechnet jene, die sich mit Händen und Füßen gegen die Ökumene der katholischen mit den protestantischen Kirchen wenden, reden einer heiligen Kriegsallianz mit dem Islam das Wort. Ähnlich wie bei der Problematik der angeblichen Marienerscheinungen ist hier die Wahrheitsfrage zugunsten einer strategischen Position aufgegeben worden: der scheinbaren Eintracht im Kampf gegen die freiheitliche Kultur des Westens.

Nun ist man geneigt, sich bei aller Aufregung über den »ökumenischen Djihad« Widmanns damit zu trösten, dass dies die Einzelmeinung eines wenn auch einflussreichen Verlagsmenschen darstellt, die in keiner Weise repräsentativ für die katholische Kirche ist. Spätestens mit Alan Poseners Buch Benedikts Kreuzzug wurde uns dieser Trost allerdings entzogen. Posener zeigt auf, wie sehr man im Vatikan unter dem Pontifikat Benedikts XVI. an einer intensiven Zusammenarbeit mit dem fundamentalistischen Islam interessiert ist. Der Papst sieht in ihm einen schlagkräftigen Verbündeten gegen die »Diktatur des Relativismus«. Damit ist zunächst vor allem die Presse-, Rede- und Meinungsfreiheit im Hinblick auf religiöse Themen gemeint. So verwundert es nicht, dass sich der Vatikan beim Streit um die Mohammed-Karikaturen unzweideutig auf die Seite des radikalen Islams geschlagen hat: »Verspottung von Religion oder religiösen Symbolen ist unter keinen Umständen zu rechtfertigen.« [27]

»Diktatur des Relativismus« beinhaltet aber auch den »Sittenverfall« der westlichen Welt mit Ehebruch, Verhütungsmitteln, Sterbehilfe und Homosexualität, gegen den man gemeinsam ankämpfen will. Dass die katholische Kirche im Mai 2008 ausgerechnet mit den führenden Mullahs des Iran dazu ein gemeinsames Kampfdokument verabschiedet hat, lässt tief blicken. In Punkt 4 der Erklärung heißt es, man sei fest entschlossen, in Zukunft zusammenzuarbeiten, »um moralische Werte zu fördern«. [28]

Wer weiß, wie die »Förderung moralischer Werte« im iranischen Gottesstaat aussieht, kann ermessen, welche Sprengkraft in dieser gemeinsamen Marschroute steckt. Ein Beispiel, das mir persönlich naheliegt, sei hier angeführt. Amnesty International zufolge wurden bisher im Iran mehr als viertausend Männer wegen des Ausübens homosexueller Handlungen hingerichtet. Darunter auch minderjährige Jugendliche, die man vor den Augen ihrer Eltern und Schulfreunde und unter dem Beifall der anderen Zuschauer an Baukränen erhängte. Angesichts dieser erschreckenden Vorkommnisse erscheint die auf einem der Herrenabende geforderte Wiedereinführung des § 175 fast noch als »Katholizismus light«.

Obgleich Widmann also nichts anderes tat, als die päpstliche Marschrichtung aufzunehmen, wurde die meiste Werbung für sein Buch über das Kopftuchverbot nicht von katholischen Zeitschriften gemacht, sondern von extremistischen Muslimen. So brachte etwa die Internetseite muslim-markt.de ein ausgiebiges Interview mit Widmann und besprach das Buch euphorisch. Das ist die Seite, auf der kurz zuvor eine »Mubahala«, ein in ein Gebet verpackter Mordaufruf, an Hans-Peter Raddatz veröffentlicht worden war.

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